Fachbereich 7

Sprach- und Literaturwissenschaft


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Lehrende

Tabubruch und Grenzüberschreitung in mittelalterlicher Literatur [FN/ÄDL3/4 und ÄDSL2]


DozentIn: Dr. Volker Sliepen

Veranstaltungstyp: Seminar

Ort: 15/113

Zeiten: Di. 10:00 - 12:00 (wöchentlich)

Beschreibung: Gesellschaftliche Ordnungen und Systeme grenzen sich von anderen Ordnungen und Systemen ab: Sie sind durch räumliche wie kulturelle Grenzen voneinander unterschieden. Regeln, Normen und kulturelle Codes dienen der Aufrechterhaltung etablierter Ordnungen. Sie sollen gewährleisten, dass das Übertreten der Ordnung sanktioniert, d.h. unter Strafe gestellt wird. Dabei verfügt jede Kultur über besondere, z. T. ungeschriebene Gesetze, deren bloße Existenz allgemeingültig anerkannt wird: Sogenannte Tabus sollen nicht in Frage gestellt, ja nicht einmal thematisiert werden; ihre kulturelle ‚Gemachtheit‘ muss unsichtbar bleiben.

Normen und kulturell gewachsene Überzeugungen mögen Gesellschaften und konkreter das Leben der Menschen (bis heute) maßgeblich bestimmen, aber natürlich galten und gelten sie nie für jedermann. In der Literatur und Kunst scheinen ebendiese Normen und kulturellen Codes seit jeher verhandelbarer zu sein. So können sie in ihrer Gültigkeit eingeschränkt, gänzlich außer Kraft gesetzt oder transformiert werden. Literarische Geschichten erzählen von alters her von Grenzüberschreitungen und dem Brechen von Tabus. Auch in mittelalterlichen Erzählungen geben sich männliche und weibliche Protagonisten dem Außerordentlichen, Maßlosen hin, sie begehen Inzest (Gregorius) und Ehebruch (Isolde), betrügen Freund und Feind, Gott und die Welt (Tristan und Isolde), töten Verwandte und zweifeln an Gott (Parzival). Wird ihr Verhalten nicht kritisiert, sondern entschuldigt oder gar gutgeheißen, stellt sich die Frage der moralisch-ethischen Bewertung neu. Wie gültig sind Normen und Tabus, wenn von ihrer Infragestellung und dem Scheitern kultureller Codes erzählt werden kann?

Wir werden im Seminar verschiedene literarische und theoretische Texte lesen. Einen Schwerpunkt bilden dabei der Tristan und Isolde-Stoff aus der Feder Gottfrieds von Straßburg und der Gregorius Hartmanns von Aue. Daneben werden wir Ausschnitte aus Wolframs Parzival besprechen und auch geistliche Texte wie die Bußpredigt 52 von Meister Eckart sowie Das fließende Licht Mechthilds von Magdeburg diskutieren. Am Ende des Seminars können wir den Blick auf zeitgenössische Tabubrüche und Diskussionen weiten (hier könnte der Fokus etwa die ‚Lust am Tabubruch‘ oder der ‚vorgetäuschte Tabubruch‘ sein). Das Ziel des Seminares besteht darin, den Themenkomplex Grenzüberschreitung und Tabubruch systematisch zu erfassen (strukturalistisch, kulturwissenschaftlich, philologisch und narratologisch) und mit Blick auf heterogene literarische Werke und Ausprägungen zu erörtern. Sie benötigen eine hohe Lesebereitschaft sowie den Willen, auch schwierige literarische Werke und Aufsätze zu verstehen.

Als Textgrundlage stelle ich einen Reader zur Verfügung. Wenn Sie nicht nur mit digitalen, sondern auch mit physischen Ausgaben arbeiten wollen, schaffen Sie sich bis Seminarbeginn bitte folgende Werke an:

Hartmann von Aue: Gregorius. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Neumann neu hrsg., übers. und komm. von Waltraud Fritsch-Rößler. Ditzingen 2011 (RUB 19931).

Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkomm. und einem Nachw. von Rüdiger Krohn. Band 1 bis 3. Ditzingen 2017 (RUB 4471-73)


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