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Lehrende
Täuschen, Fingieren, Faken: Zur Literatur- und Kulturgeschichte der Fälschung [NDL3 Komp. 2]
DozentIn: Dr. phil. Anneke Thiel
Veranstaltungstyp: Seminar
Ort: (Seminarraum Bibliothek Alte Münze oder Bibliothek auf dem Westerberg (Info folgt!))
Zeiten: Mi. 12:15 - 13:45 (wöchentlich) - Seminarsitzungen
Beschreibung: FÄLSCHUNG: Sie bemisst sich immer 'relational', immer referentiell, auf ein Anderes bezogen. Sie besteht eigentlich nur im Verhältnis: zu einem 'Original', etwas Präfabriziertem, das einen anderen Urheber hat, und ist dann ein 'Artefakt zweiten Grades'; oder zu einem hypothetischen oder möglichen Werk, das sie fingiert – oder gleich zur 'Wahrheit', zum Faktischen. Solche Referentialität eignet aber auch der Kopie, der Imitation, dem Plagiat etc. Was macht die Fälschung aus? Willkür und Intention sicherlich, Täuschungsabsicht.
Beweggründe spielen also eine Rolle, kriminelle Energie zum Beispiel, Geltungsdrang, vielleicht auch (ästhetisches) Vergnügen am falschen Spiel. Aber auch die Konsequenzen im Falle der Entlarvung: bei der Kunstfälschung zum Beispiel strafrechtliche für den Urheber, für das Opfer handfeste finanzielle Einbußen, stets aber wohl: Ent-Täuschung im Wortsinn, Scham vielleicht darüber, genasführt worden, reingefallen zu sein. Der Fälschung gilt ein justizielles _und_ moralisches Verdikt.
Solchen Fragen zur Theorie, Terminologie, Typologie der Fälschung soll im Seminar nachgegangen werden, bevor berühmt-berüchtigte Fälschungen der Literatur- und Kulturgeschichte in den Blick genommen werden in einem weiten Bogen bis in die Gegenwart: von der Konstantinischen Schenkung über Macphersons ''Ossian' beispielsweise oder Thomas Chatterton, Hauffs 'Mann im Mond', schließlich die gefälschten Hitler-Tagebücher bis hin zu Binjamin Wilkomirskis angemaßter Survivor-Autobiographie 'Bruchstücke' von 1995. Auch der Fälschung in der bildenden Kunst (Beltracchi ...), der Publizistik (Affäre Relotius ...) und – je nach zeitlicher Kapazität und Interesse der Teilnehmenden – als Gegenwartsphänomen populistischer Rede (falsche 'alternative Fakten' und angebliche Fake News, mit denen Medien die Wirklichkeit fälschen) soll nachgespürt werden.
Wenn schließlich die Fälschung als Motiv bzw. Thema literarischer Texte in den Blick kommt, wird es literaturwissenschaftlich-thematologisch: Das literarische Nachdenken über Originalität, Authentizität, 'Falschheit' hat einen Hang zum Selbstreferentiellen, zu "Dichtung von der Dichtung selbst". Fälschung als 'intertextuelles', immer bezogenes Phänomen rührt an die Frage von Originalität, Genie und Autorschaft, an den Umgang mit kulturell Vorgefundenem und ist im Vexierspiel von Eigenem und Fremdem somit vielleicht symptomatisch für die 'Postmoderne'. Gibt es eine Poetik der Fälschung? (Fingieren und Fiktion gehen etymologisch auf dieselbe lateinische Wurzel zurück ...)